Sonntag, 8. Januar 2012

Konzerte: Rockpalast vs. SHOCKING FREAKS!!!

Der folgende Bericht wurde dankenswerterweise von Christoph "Parki" Parkinson zur Verfügung gestellt und ist im Ox Fanzine Nr. 97 (August/September 2011) als Kolumne erschienen. Da ich selbst auf dem erwähnten Konzert war, hab ich unten noch ein paar Ergänzungen, aus meiner (zugegeben etwas vernebelten) Erinnerung hinzugefügt. Parki ist übrigens noch beim "Furious Clarity" Webzine aktiv.

Vorab möchte ich mich schon mal für die etwas schwache Bebilderung entschuldigen, aber Parki hatte leider auch kein Archivmaterial mehr. Ich hätte jetzt seelenlose Pix aus der Google-Suche einsetzen können, aber ihr glaubt gar nicht auf was für fiese Sachen man stößt wenn man nach „Shocking Freaks“ sucht. Wie dem auch sei, hier kommt Parki's Bericht:

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Aus dem Rheinland in die Welt: Auf den Bühnen mit THE SHOCKING FREAKS Pt. II

„Du Arschloch, jetzt spiele mal richtig!“, die Stimmung ist angespannt. Sascha schielt mich an und trommelt weiterhin auf seinem Schlagzeug einen Walzer. Die anderen Jungs scheinen davon nichts mitkriegen zu wollen und konzentrieren sich nach wie vor auf das Herunterrotzen von falschen Riffs. Erst als es einen Plumps gibt und die Drums vollständig verstummen, drehen sie sich um. Sascha ist rückwärts die Bühne heruntergefallen und liegt ohnmächtig im Dreck. Wir beenden unser Set frühzeitig. Die zweihundert Zuschauer schauen dumm aus der Wäsche. So etwas haben sie noch nicht gesehen…

Unser letztes Konzert im Haus Metternich in Koblenz, ist inzwischen drei Monate her. Seitdem haben wir in unserer Heimat keine einzige Auftrittsmöglichkeit mehr ergattert. Ich bin mir nicht sicher, ob es am Polizeieinsatz liegt, der im Anschluss an unsere letzte Show erfolgt ist, oder eben daran, weil es sich nun herumgesprochen hat, dass wir wirklich scheiße sind. Meine Motivation nimmt allmählich ab, aber ganz möchte ich die SHOCKING FREAKS noch nicht aufgeben. Und das schon aus Prinzip nicht. Denn mit meinen Eltern gab es in der letzten Zeit verstärkt Ärger wegen der Band und meines „Punk-Selbstkonzeptes“, welches in Polizeikonfrontationen sowie meinen häufigen Alkohol- und Anarchieexzessen seinen Ausdruck gefunden hat. „No future? Du spinnst wohl!“
Damit ich auf andere Gedanken komme, schicken sie mich in den Ferien zu Verwandten nach Meppen. Dort lerne ich die bezaubernde Nachbarstochter Marina kennen. Um sie zu beeindrucken erzähle ich ihr von meiner Band. Sie schlägt vor, dass wir doch mal im örtlichen „Rockpalast“ spielen sollten. Was für eine fabelhafte Idee! Wenn wir im Rheinland keine Konzerte mehr spielen dürfen, dann müssen Auswärtsgigs her. Begeistert nehme ich ihren Vorschlag an und male mir in Gedanken aus, wie ich bald im Emsland auf der Bühne stehe und sie mich anschmachtet. Kaum bin ich zu Hause wieder angekommen, setze ich einen Brief an den Besitzer des Clubs auf: „THE SHOCKING FREAKS, eine bereits jetzt schon legendäre Punkrockband aus Koblenz, die musikalisch irgendwo zwischen MAYHEM, SCREECHING WEASEL und DICKIES anzusiedeln ist. Überall wo wir hinkommen, wird ‘97 zu ’77…“

Rockpalast vs. SHOCKING FREAKS: Ob George von der skandalösen Vorgeschichte der Band wusste?!?

Zwei Monate später ist es tatsächlich soweit und das Konzert steht an. Für die achtstündige Fahrt sind wir gut gerüstet: Wir haben zwei Wochenendtickets, drei Paletten Hans-A-Bier, einen Kassettenrecorder und unsere Instrumente. Zu neunt sitzen wir im ersten der vier Nahverkehrszüge, mit denen wir heute unser 350 Kilometer entferntes Reiseziel anpeilen. Die Vorfreude ist groß. Wir fühlen uns jung, gefährlich und gutaussehend. Viel zu schnell werden wir besoffen. Unser Gitarrist Kühne ist in absoluter Höchstform. Quietsch-fidel läuft er durch die Waggons, hält fremden Personen die Faust vors Gesicht oder schreit Frauenwitze durchs Abteil: „Warum haben Frauen unten zwei Löcher? Damit man sie nehmen kann, wie ein Sixpack! HAHAHA…“ Es ist ein großer Spaß. Zumindest für uns.

Einige Stunden später sitzen wir backstage im Club und sind ziemlich mitgenommen. Besonders Sascha sieht gar nicht gut aus – obendrein stinkt er seit einer Stunde nach Urin. „Ich schaffe das schon“, sagt er, mit einer Flasche Wodka im Schoß. Gnade ihm Gott, wenn nicht. Es ist unser erster Auswärtsgig. In Meppen kennt uns noch keiner – hier will ich glänzen. THE BACKWOOD CREATURES, die lokale Punkrockband, sind nette Typen mit einer fast schon ungesunden Affinität zu den RAMONES. Sie freuen sich auf unseren Auftritt und möchten unseren Support übernehmen, weil wir von weiter weg kommen.

Die Meppener spielen ein souveränes Konzert. Wir sind inzwischen alle recht hinüber und froh, wenn wir den Auftritt hinter uns bringen können. Von weitem sehe ich, dass Marina mit mehreren Freundinnen eingetroffen ist. Ich schwanke zu ihr und habe noch Kühne Schlepptau. Ihre Freude, mich wiederzusehen, lässt nach, als sie feststellt, wie dicht wir sind. „Geile Titten“, sagt Kühne. Das Kompliment kommt nicht an.

Als wir die Bühne betreten, ist der Laden voll. „Hello, we’re SHOCKING FREAKS und ihr seid mächtig scheiße! Our erster Song is called, ,Riesenpimmel‘, ihr Votzen!“ Ich ziehe meine Lederjacke aus und entblöße meinen weißen dünnen, aber dennoch irgendwie wurstigen Körper, der überwiegend von einem zu großen Unterhemd verhüllt wird. Ich versuche, so cool wie Mike Ness in die Luft zu spucken, was mir nicht annähernd gelingt. Die Rotze bleibt wenige Zentimeter vor mir an meinem Mikrofonständer hängen. Mad Ass, unser Bassist, muss die Ansage falschverstanden haben, denn er spielt unser „Weißer Hai“-Intro. Captain grunzt den „Riesenpimmel“-Refrain. Kühne spielt irgendwas. Sascha spielt gar nichts. Ich konzentriere mich auf meine zwei Riffs und schäme mich.
Beim zweiten Song, „Beeeer“, wird es etwas besser. Kühne, Mad Ass und ich spielen dasselbe Stück – wenn auch leicht zeitversetzt. Captain beherrscht seinen Text – „Beeeer…“ – und selbst Sascha wird aktiv. Er tritt nun die Basedrum und haut wie „Das Tier“ auf Snare und Becken. Dummerweise alles nacheinander und jeweils mit einer zweisekündigen Pause dazwischen. Als er während des dritten Songs, „No time to lose“, vom Schlagzeughocker und somit hinter die Bühne fällt, ist es aus. Wir brechen den Gig ab. Captain kriegt einen Wutanfall, rennt auf unseren am Boden liegenden Schlagzeuger zu und tritt ihm mehrfach in den Bauch. Der Sänger der Vorband geht dazwischen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Marina und ihre Freundinnen den Club verlassen. Ich gehe ihnen nicht nach.

Rockpalast vs. SHOCKING FREAKS:Gedächtnisrekonstruktion von Bernd Bombe.

Ohne mit den anderen ein Wort zu wechseln, packe ich verärgert meine Sachen zusammen. Der Veranstalter kommt mit knallrotem Kopf auf mich zu. Ich denke nicht, dass er mir die versprochene Gage von 200 DM überreichen möchte. Und so ist es auch nicht: Er wirft uns im hohen Bogen aus dem Laden raus. Draußen regnet es. Der nächste Zug in Richtung Koblenz fährt erst wieder in acht Stunden. Sascha stecken wir in einen Einkaufswagen und peilen randalierend den Hauptbahnhof an. Es wird eine lange Nacht. Und eine ebenso lange Zugfahrt. Ich habe vor lauter Wut und Übermüdung das Gefühl, bald sterben zu müssen. Als wir versehentlich in den falschen Anschlusszug steigen, fasse ich den Entschluss, die Band zu verlassen…
(Christoph Parkinson)


***

Abschließend noch mal ein paar Ergänzungen von Bernd Bombe:
Eine unglaubliche Story! Auch wenn die wie ausgedacht wirkt: Sie stimmt tatsächlich! Ich kann es bezeugen, denn ich war dabei!!! Das Ganze muss irgendwann im Herbst 1997 gewesen sein. Zwar weiß ich nicht was Parki im Rockpalast mit "backstage" meint, aber egal. Als ich reinkam saßen jedenfalls gefährlich aussehende Typen auf der Pyramide im Palast, um die sich bereits leere Bierdosen türmten. Die erwähnte Zuschauerzahl von 200 ist übrigens gar nicht mal so utopisch. Heute wäre man froh wenn die Hälfte kommt, damals war das im Palast aber durchaus normal. Gute alte Zeiten, hach... Als die SHOCKING FREAKS die Bühne betraten war ich als alter SLAYER-Fan zuerst mal ziemlich beeindruckt, weil einer der Gitarristen eine schwarze BC Rich Warlock umgeschnallt hatte. Der erste positive Eindruck verschwand aber schnell, denn das Desaster nahm seinen Lauf! Parki redet in seinem Bericht zwar von drei Songs, ich tippe aber mal eher auf anderthalb, bevor der vollkommen dichte Drummer rücklings von der Bühne fiel. Da hatte ich schon Angst, dass er sich das Genick gebrochen hatte, aber als dann später die restliche Band auf ihren Drummer losging hatte ich fast noch mehr Angst um den armen Kerl. Man stand vor der Bühne, die nächste Band spielte schon, und hinter der Bühne kriegte der Drummer von seinen Bandkollegen heftig auf die Fresse! Man wusste gar nicht wo man hinsehen sollte ... auf die Band die gerade spielte, oder auf das blutige Schauspiel hinter der Bühne?!?! Bizarr!!!

Wie das mit den anderen Bands war weiß ich nicht mehr sicher. Wenn Parki sagt, dass die BACKWOOD CREATURES gespielt haben, wird das wohl so gewesen sein. Ich meine mich aber erinnern zu können, dass nach dem SHOCKING FREAKS Desaster spontan noch eine andere Band einsprang, die zufällig anwesend war. Das könnten die SENTIMENTS aus Osnabrück gewesen sein, die dann mit ihrem alten Frontmann Beppo Amaretto auftraten, der damals nach Meppen gezogen war. Alles jedenfalls recht spontan und improvisiert...

Was mich abschließend noch interessieren würde: Wer ist Marina? Die möchte ich gerne kennenlernen und vielleicht mal ihre Version des Konzertabends hören. Ich frage mich auch ob Parki's Meppener Verwandte von dem Auftritt wussten und anwesend waren. Die hätten der Band nach dem Rauswurf doch noch ein warmes Nachtlager anbieten können... ;)

Glossar für die zu spät geborenen unter euch:
Paletten Hans-A-Bier = Hans-A-Bier hieß eigentlich „Hansa Pils“ und war ein beliebtes und günstiges Dosenbier, in den guten alten Zeiten ohne Dosenpfand. Auf den Dosen stand oft eine schlaue Lebensweisheit von einem Mann namens „Hans A.“, sowas wie: „Hauptsache Hansa, alles andere ist euer Bier“! Gekauft wurde das Bier meist palettenweise, d. h. 24 Dosen auf Papp-Palette. Härtester Konkurrent von Hans-A-Bier war damals „Karlsquell“, ebenfalls ein günstiges Premium-Dosenbier vom Aldi. Noch heute führen erwachsene Männer handfeste Diskussionen, welches Bier das bessere war…

Kassettenrecorder = transportables Gerät zum Abspielen von Kassetten. Kassetten waren früher (in der prä-iPod/mp3-Zeit) ein beliebter Magnetbandtonträger, der momentan in der Punkrockszene tatsächlich wieder in Mode kommt.

2 Kommentare:

  1. Haha, herrlich der Bericht. Aber für das Glossr muss man schon SEHR spät geboren sein Bernd!

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  2. Ich gehe in Meppen grundsätzlich von VOLLKOMMENER Unwissenheit aus... ;)

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