Mittwoch, 25. Januar 2012

Bands: Emsland-Hype I – Backwood Creatures

Zum Ende des alten Jahrtausends erregten die BACKWOOD CREATURES nicht nur in Meppen einiges Aufsehen, sondern allmählich auch die Aufmerksamkeit der nationalen Fanzine-Szene. Ein ganz findiger Schreiberling saß in Oberhausen, seines Zeichens auch Bassist der Budget-Rocker NIMRODS, mit ihrem einzigartigen "One-String-Bass", hier im Einsatz zu sehen:


Waaaaahnsinn! Ich sehe jedesmal Bassvirtuosen und Musikschullehrer im Publikum verzweifeln, wenn die NIMRODS auftreten. Und Brandschutzbeauftragte, denn die Band hat auch immer massig Wunderkerzen im Gepäck und wirft mit Sonnenbrillen und all so'n Firlefanz. Die gibt's auch noch, ich glaube ich sollte mal ein Konzert mit denen machen...

... doch ich schweife ab. Dem besagten Bassvirtuosenfanzineschreiberling brannte damals jedenfalls (wir schreiben das Jahr 1998) die Frage unter den Nägeln: "Wo ist in Deutschland das zweite Seattle?!?!" Bzw.: "Wo kann ich durch einen klug platzierten Musikmagazin-Fachartikel das neue deutsche Seattle kreieren?!?!?" Tja, und da kamen die jungen und smarten BACKWOOD CREATURES daher! Tatsächlich haben die damals desöfteren in Oberhausen gespielt, bei den allseits beliebten "Crypt Style Hop" Parties. Und da in der emsländischen Heimat der BACKWOODS das Jahr über auch meist ähnlich mieses Wetter wie in der US-Hauptstadt des Grunge herrschte war schnell klar: MEPPEN IST DAS NEUE SEATTLE!!! Der "Emsland-Hype" war geboren!

Um dem Ganzen die nötige Substanz zu geben schrieb der schon erwähnte Fanziner noch schnell einen investigativ recherchierten Artikel und ab ging die wilde Fahrt (falls jemand eine total irre Einleitung erwartet, muss ich gestehen, dass die irgendwo in den Weiten des www verloren gegangen ist, deshalb geht’s hier gleich ohne viel Federlesen in die Vollen!!!):

 … Damit meine ich gar nicht, daß es da nicht schön wäre, oder so. Auch ich träume bisweilen von einem ruhigen Leben auf dem Land! (Natürlich nur mit guter Autobahnanbindung, am besten dreispurig!) Das Emsland ist aber wohl nun wirklich so etwas wie das bestgehütetste Geheimnis unter den „deutschen Landschaften“, gleichermaßen ein Phantom, von dem keiner so genau weiß, wo es nun eigentlich liegt, geschweige denn, daß auch nur einer schon mal das Wort gehört hätte. Abgeschiedenheit und das Leben in totaler Unbedeutendheit ist allerdings, und das ist ja auch die älteste Weisheit überhaupt, der ideale Nährboden für Träume und Spinnereien von Rock’n‘Roll und ähnlichem Tinnef. Da das Emsland obendrein, auch wenn‘s keiner wußte und schon erst recht keinen interessierte, in Deutschland liegt und das wiederum ein Land ist, in dem der Lebensstandard trotz Rezession und solchen Sachen ganz anständig hoch ist, ist es auch für den Durchschnittspapi (oder auch die Mami) locker drin, seinem Filius genug Taschengeld zukommen zu lassen, daß der sich davon eine Gitarre zusammensparen kann oder was man sonst halt noch so braucht, um eine Band aufzumachen.

So einfach geht das, und die Kleveren haben bestimmt schon gemerkt, das geht ganz einfach so wie überall in der Welt, und das ganze Provinzgelaber ist mal wieder nur journalistisches Blendwerk. Wieso um alles in der Welt sich diese Emsländer aber toften Pop-Punk QUEERS‘scher Prägung und nicht etwa so‘n modernes Fat Wreck-Zeug oder wenigstens Heavy Metal ausgesucht haben, das weiß ich nicht, da haben wir halt Glück gehabt. Das entscheidende an dieser Geschichte ist aber, daß die BACKWOOD CREATURES, das sind nämlich die Emsländer, von denen ich hier schon die ganze Zeit quassele (neben anderen, die ich vielleicht später dann beleuchte), das, wofür sie sich da entschieden haben, supergut können; also spitzenmässigen Kaugummi-Punkrock machen, daß es einem den Kniff aus der Hose trötet, meine ich. (Und deshalb haben wir so ein Glück gehabt! (...zumindest diejenigen, die sich gern mal sowas einschenken.))

An dieser Stelle wird es Zeit für Fakten! Knallhart recherchiertes biographisches Material über diese Band, die sich so selbstironisch als Hinterwäldler bezeichnet, ist es, was der Leser will. Die Geschichte der Band währt mittlerweile zwei Jahre und große Bäume haben die natürlich noch nicht ausgerissen. Wenn ich erfahre, daß der erste Auftritt auf einer Party stattfand, hört sich das für mich nach einer extrem klassischen Band-Sozialisation an. Ein positiver Schicksalsschlag traf die Band dann aber bei einem Auftritt in Lingen (das ist, glaub‘ ich, die R’n‘R-Hauptstadt des Emslandes, oder so), als sie der kleine/große Mann des Punkrocks in Deutschland, Jens „Bumper“ Stuhldreier, der mit seinen JET BUMPERS an jenem Abend auch auftrat, auf der Bühne sah. Der war ob des fachkundig präsentierten Pop-Punks selbstredend in gerechter Begeisterung und bot der Band seine leitende Hand an. In der Folgezeit verschaffte der Solinger, geschäftig wie er ist, seinen Schützlingen einige Auftritte, unter anderem auf seiner Weihnachtsparty anno ‘97 im „Kotten“. (Anm. d. Blogbetreibers: Es folgen die JET BUMPERS mit ihrem damaligen Tanzflächenfeger: "I wanna be like Milhouse")

Tja, so ging es dann immer weiter mit der Band, aber vom „Durchbruch“ (Haha, als ob es sowas gäbe in dieser Branche!) sind die BACKWOOD CREATURES natürlich noch Lichtjahre entfernt. Aber vielleicht ändert sich das ja bald! In Kürze erscheint nämlich die Debüt-Single der „Hinterwäldler des Rock“, wie sie sich aus Jux schon mal bezeichnen, auf Wild Weekend Records, dem aufstrebenden Label des Ehren-Emsländers Holger Daniel. Vier Stücke wird die Platte enthalten, und mit Titeln wie „Hang Around“ oder „Next Summer“ die gesamte Bandbreite adoleszenter Themenvielfalt abdecken. (Anm. d. Blogbetreibers: Es folgt "We can't surf", ein Song von besagter Debüt-Single der BACKWOOD CREATURES. Auch ein großartiger Livehit und nichts als die bittere Wahrheit: Trotz mühevoller Übungseinheiten am Meppener Möllersee konnte tatsächlich keiner aus der Band surfen...)

Damit erstmal genug zu den BACKWOOD CREATURES. Wir wollten doch noch mal sehen, ob es da im Emsland noch was anderes erwähnenswertes gibt. Schließlich wollen wir ja dem EMSLAND-HYPE, von dem soviel geraunt wird, auf die Schliche kommen. In diesem Zusammenhang fällt nämlich des öfteren noch der Name einer anderen Band, und zwar der der FREEBEES! Auch die sind aus irgendeinem unerfindlichen Grund aufs heftigste vom Pop-Punk-Virus infiziert und kleben sich wie irre ihre Gitarren mit einschlägigen Aufklebern von A, wie RIVERDALES, bis Z, wie QUEERS, voll. Das Tolle an den FREEBEES ist dabei, daß das noch echte Teenager sind! Blutjunge Rotznasen von 17, 18 Jahren sind das! So etwas zählt in unserer vom Jugendkult besessenen Gesellschaft natürlich eine Menge. Ich für meinen Teil kann mich ganz einfach immer köstlich amüsieren, wenn bei einem Konzert der FREEBEES deren halbe Klasse mitreist und ich mir vorstelle, was die nun für coole Typen in ihrer Schule sind. Aber so sollte es ja auch eigentlich sein, Pop-Punk sollte von Teenagern gespielt werden und nicht von abgehalfterten so-gut-wie-30-jährigen, die, obwohl sie‘s eigentlich besser wissen sollten, immer noch Rockstar-Spinnereien im Kopf haben. Im Vergleich mit den BACKWOOD CREATURES schneiden die FREEBEES allerdings noch eine Nuance holpriger ab, was freilich kein Nachteil sein muß. Außerdem haben sie eine kraße Vorliebe für ellenlange Balladen mit haufenweise langezogenen „Uuuhs“ und „Aaahs“, da sage noch einer, die heutige Jugend würde verrohen! (Anm. d. Blogbetreibers: Nachfolgend ein Song von THE VADERS, einer Nachfolgeband der FREEBEES, mit Bandchef Peter. Da sind sie aber schon eine ganze Ecke vom alten Poppunksound entfernt, also quasi total "verroht", pfui. Peter spielt derzeit außerdem noch bei THE AFFECTED.)

Wenn diese beiden Bands auch exakt dasselbe musikalische Feld beackern und das auch - mit den erwähnten graduellen Unterschieden - gleich prima machen, so muß ich zum Schluß jetzt aber doch mit einem Vorurteil abrechnen, auf das ich irreführender Weise (ich hab‘s aber extra in Anführungszeichen gesetzt!) auch im Titel dieses Artikels angesprochen habe. Es kann, und ich möchte das hier nun einmal - auch im Interesse des Emslandes selbst! - unmißverständlich klarstellen, von einem „Emsland Hype“ keine Rede sein. Die FREEBEES zum Beispiel kommen gar nicht aus dem Emsland, sondern - nagelt mich da jetzt bitte nicht fest - irgendwo aus dem Münsterland oder dem Teutoburger Wald oder weiß der Geier woher.

Für uns Metropolenbewohner mag da freilich kein Unterschied erkennbar zu sein - die ländliche Umgebung der Städte stellt sich uns doch meist trügerisch homogen dar -, aber es gibt nun mal Grenzen, und was kein Emsland ist, muß auch kein Emsland bleiben (oder so, ihr wißt schon was ich meine). Die BACKWOOD CREATURES sind demnach also die einzigen Emsländer in diesem Artikel, aber das ist wohl auch piep-egal, denn wichtig ist, was aus den Boxen rauskommt, wie weiland schon irgendjemand mal gesagt. In diesem Sinne: Gehaben Sie sich wohl.

Text von Stefan Moutty erschienen im Ox Fanzine / Ausgabe #33 (IV 1998). Emsländer wie auch Ibbenbürener schlagen noch heute die Hände über dem Kopf zusammen, wie man da geografisch in einen Topf geworfen wurde! Aber ich glaube für Ruhrpottbewohner liegt der Nordseestrand auch 500 Meter hinter dem Schüttorfer Kreuz. Wie auch immer, die Auswirkungen sind bekannt: Noch heute findet man desöfteren mal seinen Vorgarten verwüstet vor, wenn mal wieder ein MTV- oder VIVA-Kamerateam eine der unzähligen hippen Meppener Bands bei nächtlichen Eskapaden begleitet hat... Ein Erdbeben mit dem Epizentrum Emsland erschütterte die weltweite Musikszene!

Na ja, eher nicht... Aber eine gute Zeit war es damals trotzdem! Das angesprochene Konzert der BACKWOOD CREATURES mit den JET BUMPERS in Lingen fand im Dezember 1997 statt und gehört noch heute zu meinen Top10-Konzerten aller Zeiten! Inklusive allem jugendlichen Wahn der damals so dazugehörte: Alkoholeskapaden, Beinahe-Totalschaden der Sehhilfe beim Dorfpogo, Leute die danach monatelang nicht mehr mit einem geredet haben... Irgendwann werde ich hier noch mal einen Konzertbericht verfassen...

Die JET BUMPERS waren damals jedenfalls ungemein populär, da die überall und in jedem Kellerloch spielten und eine unglaublich gute Liveband waren. Ich erinnere mich wie ich mit BACKWOOD CREATURES Gitarrist Nilz in deren Wohnung im Herrenmühlenweg in der Küche saß und der tierisch nervös war, weil die gerade die Zusage für den Supportslot zugesagt bekommen hatten und jetzt das erste Mal mit einer „großen“ Band spielen konnten… Die „große“ Band entpuppte sich dann als obersympathisch, Frontmann Jenz Bumper war nach zwei Songs der BACKWOOD CREATURES zu 100% Fan und 2 Wochen später traten die Meppener dann in Solingen auf und versetzten den Rest der bundesdeutschen Punkrockszene in Verzückung. Aber davon bald mehr in diesem Theater, und zusätzlich auch den "Emsland Hype" Teil 2 und 3...

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