Dienstag, 7. Juli 2015

Buch-Review: Andreas Müller - Schluss mit der Sozialromantik! (Buch)

Andreas Müller - Schluss mit der Sozialromantik! Ein Jugendrichter zieht Bilanz
Taschenbuch | Verlag Herder | September 2013 | 240 Seiten | ISBN-10: 3451309092 / ISBN-13: 978-3451309090

Nanu, ein Buch von einem Jugendrichter? Was soll das auf dem Minus-Rockcity-Meppen Blog? Na ja, der/die ein oder andere wird vielleicht wissen, dass Jugendrichter Andreas Müller nicht nur aus Funk und Fernsehen (diverse Talkshows, Expertenrunden, Interviews etc.) bekannt ist, sondern gebürtig aus Meppen kommt. Und "Meppen" (ich benutze den Begriff jetzt einfach mal abstrakt personal, da ich in letzter Zeit auch immer von "Typisch Meppen" usw. lese ... es scheint hier also wohl sowas wie eine angenommene Schwarm-/Kollektivintelligenz zu geben) rühmt sich ja gerne der Söhne und Töchter der Stadt, die es zu was gebracht habe - selbst wenn die schon längst nicht mehr hier leben, da unser schöner kleiner Ort nun mal nicht die absolut steilgeilen Karrieremöglichkeiten bietet und man besser wegzieht wenn man was aus sich machen will. Meppener bleibt man aber offensichtlich lebenslang...

Andreas Müller: Schluss mit der Sozialromantik! (Der Einband hat beunruhigende Ähnlichkeit mit Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab", davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen...)
Bei Andreas Müller verhält es sich so, dass er als Jugendrichter in Bernau (in Brandenburg, direkt bei Berlin) gelandet ist und dort seit den Neunzigern einige aufsehenerregende Prozesse im Jugendstrafrecht geführt hat und nebenbei auch durchaus (wie eingangs erwähnt) medienaffin in der Öffentlichkeit agiert, also auch öfter mal im Fernsehen auftaucht wenn es um entsprechende Themen wie Jugendstrafrecht geht. Aufgrund seiner Meppener Wurzeln lasse ich ihm jetzt auch mal die Ehre einer Buchbesprechung auf dem Minus-Rockcity-Blog zuteil werden, da er mit "Schluss mit der Sozialromantik!" vor nicht allzu langer Zeit ein relativ vielbeachtetes Buch geschrieben hat.

Wer bei Justizthemen jetzt an dröge Gesetztestexte denkt, die sowieso kein Normalsterblicher versteht, der sei beruhigt: Das gesamte Buch ist absolut verständlich und bodenständig geschrieben. Speziell wenn Müller z. B. mal wieder davon berichtet, wie er in seinem Kiez Bier trinken war "menschelt" es immer sehr. Wie ich so hörte ist er auch desöfteren noch mal in Meppen am Bier trinken, da hab ich ihn aber immer verpasst. Ärgerlich...

Ärgerlich deshalb, weil Müller rein persönlich ein sehr interessanter Mensch zu sein scheint. Ihm eilt durch seine teils harten Urteile immer wieder der Ruf als "Richter Gnadenlos" voraus, was er in dem Buch aber ganz gut relativiert. Er bringt sehr viel Persönliches ein und man merkt, dass sich hier ein Typ äußert, der absolut für seinen Beruf brennt.

Was den Inhalt des Buchs betrifft fällt natürlich zunächst mal der ziemlich plakative Titel auf. Gepaart mit Müllers Ruf als "hartem Hund" könnte man bei "Schluss mit der Sozialromantik!" natürlich erstmal meinen, dass er hier die absolute Keule gegen jugendliche Straftäter schwingt. Dem ist aber nicht so! Denn der Begriff "Sozialromantik" hat bei ihm zweierlei Lesart:
  1. Die "weiche" linke Sozialromantik, auf die der Titel sicher auch abzielt. Sprich: Milde, statt Arrest oder Jugendhaft immer wieder erzieherische (ambulante) Maßnahmen, Sozialstunden etc.
  2. Das genaue Gegenteil, nämlich die "harte" rechte/konservative Sozialromantik: kompromisslose stationäre Maßnahmen wie Arrest, Freiheitsentzug, verschärfte Jugendstrafen etc. oder z. B. auch Warnschussarrest als "Allheilmittel".
Müller zeigt in seinem Buch recht deutlich die negativen Seiten beider Sichtweisen auf. Basierend darauf fordert er eine Reform des Jugendstrafrechts mit besser durchdachtem und organisierterem Eingreifen. Er sieht das deutsche Jugendgerichtsgesetzt zwar generell als gut an, allerdings könnte es seiner Meinung nach stellenweise besser gemacht werden.

Das Ganze handelt er an einem Schwung von Fallbeispielen aus seiner Richterlaufbahn ab, die derzeitige Probleme von Jugendrichtern und Gerichten relativ deutlich machen: Zeitmangel der Richter, so dass wirklich sorgfältiges Arbeiten kaum möglich ist. Und was für mich als Nicht-Fachmann im Bezug auf Strafjustiz besonders erschreckend war: Die offensichtliche Langsamkeit und fehlende schnelle Informationsweitergabe der staatlichen Stellen an den Schnittstellen zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Die offensichtlich mangelnde Kommunikation/Vernetzung und/oder Verantwortungsgerangel staatlicher Stellen (vor allem bei Intensivtätern) stimmt schon bedenklich ... passt aber irgendwie auch ins Bild, das manch einer von deutscher Bürokratie hat.

Müller hangelt sich recht anschaulich an seinen "Lieblingsthemen" entlang, um genau zu sein Rechtsradikalismus/Ausländerfeindlichkeit (den er in seinem richterlichen Zuständigkeitsbereich Bernau stark eindämmte) und vor allen Dingen dem Umgang mit Intensiv- und Wiederholungstätern. Dabei legt er nachvollziehbare Instrumente dar, die in dem Bereich wünschenswert wären, wie z. B. Generalprävention im Täterumfeld (Signal an die "Szene" um gewisse Täter, dass schnell, effektiv und hart gegen sie vorgegangen wird) und auch "Erziehungsrichter" (die sich z. B. ggf. um Problemfamilien kümmern und kriminellen Karrieren vorbeugen).

Ein "Nebenschauplatz" sind auch seine Ansichten zur Entkriminalisierung von Cannabis, die der/die ein oder andere sicher auch interessant und sinnvoll finden könnte, so er/sie denn kein dogmatischer Verfechter der "rechtskonservativen Sozialromantik" ist... Aber in Meppen fordert ja sogar schon die FDP eine Cannabis-Legalisierung, haha...

Die grundsätzliche Stoßrichtung des Buches ist also kein "Strafe um jeden Preis für jugendliches Gesindel", sondern eine nach meinem Verständnis durchaus moderate und an Beispielen belegte Forderung nach besseren Instrumenten im Jugendstrafrecht. Nach Müllers Verständnis müssen die Richter mit diesem vernünftigen Handwerkszeug dann angemessen umgehen. Manchmal hart (bei Wiederholungs-/Intensivtätern), manchmal eben mit gewisser Nachsicht. Härte des Gerichts darf kein Selbstzweck sein und es gibt auch kein Patentrezept zur Anwendung von Milde oder Härte. Es muss in jedem einzelnen Fall mit Vernunft und Augenmaß geurteilt werden und Jugendlichen muss generell mit Zuwendung aber auch mit Konsequenz und Klarheit begegnet werden.

Im Grunde genommen Selbstverständlichkeiten sollte man meinen, aber Müller legt in seinem Buch halt dar, dass es an einigen Stellen in der deutschen Strafjustiz wohl doch ziemlich hapert. Beruhigend auch, dass er sich der tiefgreifenden Auswirkungen die sein Richterurteil auf Täter haben kann sehr bewusst zu sein scheint, aber auch der Verantwortung die er gegenüber den Opfern hat. Da kann man nur hoffen, dass seine Richterkollegen in der Bundesrepublik ähnlich selbstreflektiert sind.

Stichwort Richterkollegen: Einen nicht unerheblichen Teil von Müllers Buch nimmt auch die Richterin Kirsten Heisig ein, die seit 2001 wichtige Mitstreiterin in seinen Standpunkten war. Sie war Begründerin des "Neuköllner Modells" die ebenso kompromisslos gegen Berliner Intensivtäter mit Migrationshintergrund vorging wie Müller gegen die rechtsradikale Szene in seinem Bezirk Bernau. Im Jahr 2010 beging Heisig Selbstmord, ein Fall der auch durch die Presse ging.

Da kommen wir auch an einen Punkt wo Müller in seinem Buch förmlich die Hosen runterlässt, ums mal flapsig zu sagen: Er streut immer wieder persönliche Geschichten ein und berichtet auch recht freimütig und ehrlich von seinen Schwächen und Problemen. Speziell seine Jugend in Meppen war nicht immer leicht, da er einen alkoholkranken Vater und einen drogensüchtigen Bruder hatte. Nicht unbedingt die einfachste Konstellation, wie sicherlich der/die ein/e oder andere nachvollziehen kann, der/die ebenfalls in diesem ländlichen Milieu groß geworden ist. Richtig schlucken musste ich dann als Müller über seine späteren psychischen Probleme wegen Überarbeitung und daraus folgernde Depressionen erzählt.

Alles in allem ein sehr interessantes Buch mit klaren Standpunkten. Es ist natürlich festzustellen, dass Müller sich teilweise auch in seiner Rolle als "unkonventioneller und unbequemer Gegen-den-Strom-Schwimmer" gefällt, aber solche Leute braucht man wahrscheinlich auch um Veränderungen anzustoßen. Ob solche Veränderungsforderungen in einer bundesdeutschen "Ära Merkel" (die nach meinem Empfinden eher auf Stillstand bzw. Wahrung des Status Quo ausgerichtet ist) in der Politik nicht eher auf taube Ohren stoßen steht wohl auf einem anderen Blatt...

Wer sich jedenfalls mal mit den angesprochenen Themen auseinandersetzen möchte, dem kann ich für das Buch vom Herrn Müller durchaus eine Leseempfehlung aussprechen. Mal gucken ... vielleicht treffe ich ihn ja doch noch mal des nächtens an irgendeinem Meppener Tresen, dann kann man vielleicht noch den ein oder anderen Punkt besprechen, haha...

[Bombe]