Dienstag, 29. Oktober 2013

Review: CHRISTIAN STEIFFEN

CHRISTIAN STEIFFEN - Arbeiter der Liebe
CD | Warner | 14 Songs - 49:39 Minuten

Halleluja! Lange haben wir drauf gewartet, jetzt ist sie endlich da: Die erste Langspielplatte (was ist eigentlich mit Vinyl?!?) von Christian Steiffen! Tja, fertig war das Album wohl schon lange, aber das ist halt das Elend wenn man auf einem Majorlabel wie Warner veröffentlicht ... da bleiben solche Rohdiamanten auch mal ein paar Monate bis zur endgültigen Veröffentlichung liegen...


Dass die Scheibe geteilte Meinungen hervorrufen wird, war vorher natürlich auch schon irgendwie klar. Da ich mit meinem Review (wie immer) ziemlich spät dran bin, durfte ich u. a. schon recht unmotivierte Verrisse von INTRO und 1LIVE lesen. Pfui! Na ja, nichts ist leichter als ein unmotivierter Verriss - den könnte ich jetzt auch raushauen, da ich mir die CD (im schicken Digipak übrigens) gekauft und nicht als Promoexemplar angefordert hab. (Allzuviele Reviewvögel sind ja persönlich beleidigt wenn sie nicht alles für lau in den Arsch geblasen bekommen...) Allerdings hab ich meine Nase im Laufe der Jahre auch tief genug in irgendwelcher Musikkritikerschmierfinkenscheiße gehabt, um mich heutzutage bewusst aus diesem Hamsterrad rauszuhalten. Und ich bin ganz froh nicht zum verbitterten saturierten pseudointellektuellen Honorarschreiber geworden zu sein. Denn Musik ist eine Sache die ich liebe, da hab ich keinen Bock mich mit Veröffentlichungen auseinanderzusetzen, auf die ich ja eigentlich gar keine Lust habe... Und Stichwort Liebe: Das ist womöglich genau das Gefühl, was die armen Wichte in den INTRO- und 1LIVE-Redaktionen nicht mehr empfinden können, um die Größe dieses Steiffen-Epos zu erfassen! Ha!

Uh, jetzt trägt er aber dick auf, mag jetzt manch einer denken... Aber auch ich bin geläutert, wurde sozusagen vom Saulus zum Paulus, was Christian Steiffen angeht. Ich verstehe durchaus, wenn man ihn am Anfang womöglich scheiße findet ... bei mir sah das Ganze anfangs ähnlich aus:

Eines Tages quatschte mein Kumpel Jogi mich an, ob ich nicht ein Konzert in Meppen machen wollte: "Mit meinem Nachbarn aus Osnabrück, der macht so Schlager..." Ich dachte nur "Watt willst du? Schlager?!?" und ignorierte das erstmal. Als gestandener Punkrocker will man ja keine Schandflecke auf seine angeranzte Lederjacke kommen lassen. Irgendwann hab ich dann auch das Steiffen-Video zu "Ich fühl' mich Disco" gesehen und war verwirrt... Aber spätestens als ich mir dann den Clip zu "Ich hab die ganze Nacht von mir geträumt" zu Gemüte geführt hatte, platzte der Knoten allmählich... Fritten ins Eisfach, sag ich nur!


Danach hab ich noch so ca. 3 Wochen gebraucht, bis ich auch das Wortspiel im Künstlernamen gecheckt hab. Als ich aus dem Lachen wieder raus war, hatte Jogi dann bereits das Heft selbst in die Hand genommen und für den 15.12.2012 ein Konzert von Christian Steiffen gemeinsam mit dem JANCEE PORNICK CASINO in Meppen gebucht. Und im Nachhinein muss man sagen: Legendärer Abend (HIER nachzulesen)! Der Laden war proppenvoll, Jancee hat während seines Auftritts gekotzt, Christian nicht, im Gegenteil - er war ein wahrer Sonnenschein! Wer sonst bringt als "unbekannte Vorband" eine ganze Dorfjugend dazu voller Inbrunst dazu lauthals "Sexualverkehr" zu singen?!? Das kann nur einer! Und das war dann auch der Augenblick in dem ich bedingungsloser Fan wurde! Wir (gestandene Männer!) waren sogar nach dem Auftritt fast so weit pubertierende Dinge zu tun, wie z. B. eine "Steiffenjugend Meppen" zu gründen. Herrlich!!!



Aber ich schwafel wieder rum, kommen wir also jetzt zum Album. Ein Blumenstrauß von 14 Songs ist drauf. Rein musikalisch gibt es perfekt arrangierte Schlagermusik. Erwartet also keinen Schrott! Das Original Haseland Orchester unter der Leitung von Dr. Martin Haseland hat da einen perfekten musikalischen Unterbau geschaffen, der sich neben Schlager auch aus allerlei anderen Genres bedient, z. B. Disco/Funk ("Ich fühl' mich Disco"), Gospel (man achte auf die Chöre in "Mein bester Freund") und und und... Singen kann der Christian übrigens auch ganz gut, sogar ein leichter Howie Carpendale Slang ist mitunter zu erahnen ("Ein Leben lang"). Und Reinhard Mey ... na ja, das werdet ihr schon selber rausfinden wenn ihr die Platte anhört ... ich will ja nicht zuviel verraten. ;) Mit Liedern wie "Eine Flasche Bier", "Wie gut, dass ich hier bin" oder "Sexualverkehr" geben sich hier die Hits jedenfalls die sprichwörtliche Klinke in die Hand! Die Krönung ist "Ich habe Haschisch probiert", das daherkommt wie eine Mischung aus FAITH NO MORE's "Schützenfest" und "Feel Good Hit Of The Summer" von den QUEENS OF THE STONEAGE.

Am Haschisch-Songtitel lässt sich dann auch schon direkt die textliche Marschrichtung ablesen. Verpackt in diese unvergleichlich schmalzige Schlagerlyrik wird da nämlich meist nach wenigen Zeilen der Schwarzhumor-Hammer rausgeholt. Das Humorniveau variiert dabei naturgemäß irgendwo zwischen subtil bis zotig, schweinisch oder gar derbe. Vielleicht sitzen nicht alle Gags so hundertprozentig, aber auch nach mehrmaligem Hören könnte ich mich bei einigen Liedern immer noch einnässen vor Lachen! Ich gebe zu, wenn das Ganze nicht von diesem ludenhaften Halbweltschönling Christian Steiffen gesungen würde, wäre es vielleicht irgendwie nur halb so witzig. Aber der Mann zieht das mit Look und Attitüde so überzeugend durch, dass auf "Arbeiter der Liebe" einfach das Gesamtbild stimmt! Hier passt alles perfekt zusammen, wie Arsch auf Eimer sozusagen! Und man ertappt sich übrigens ständig dabei, wie man die Lieder unbewusst vor sich hinsingt: im Supermarkt, auf der Arbeit, am Kaffeetisch bei Muttern ... da kann so ein sanft dahingehauchtes "Se-xu-al-verkeeeeheeeer, sha na na na" durchaus mal für Erheiterung oder andere Dinge sorgen...

Es gibt natürlich auch viele Leute die diesen Humor gar nicht ganz durchschauen, auch das durfte ich schon mal erleben. Da waren dem Herrn Steiffen bei einem Auftritt einige Leute (Fraktion Ü60-Spaßbremse) ausgesetzt, die diese Kombination aus perfekter Schlagermusik und schwarzhumorig/anzüglichen Texten überhaupt nicht wechseln konnten. Und obwohl er Songs wie "Haschisch" und das Lied über seinen Kumpel Jesus schon bewusst ausließ, sah ich auf einigen Gesichtern das Lächeln wahrhaftig gefrieren, haha... (Und das ist übrigens nicht bei meinem letzten Besuch in den Redaktionen von INTRO bzw. 1LIVE passiert, hehe...)

Zum Album möchte ich also abschließend festhalten: Es ist ein Hit! Und wer sich gerne mit etwas abseitigem Humor beschäftigt, sollte hier unbedingt ein Ohr riskieren. This is Entertainment und ihr wisst hiermit was euch erwartet! Alle anderen können sich meinetwegen weiter "Supertalent" in der Glotze geben oder auf die Suche nach der nächsten künstlerisch wertvollen psychedelisch-atonalen Avantgarde-Indiecombo begeben, viel Spaß dabei!

Die Quintessenz bei Christian Steiffen ist halt: Das Ganze ist auf seine eigene Art und Weise gut gemacht! Ob man das jetzt toll findet oder nicht... Und da steht auch weitaus mehr dahinter, als dass es nur ein Gag-Schnellschuss wäre. Hinter der Kunstfigur Christian Steiffen (nein, er heißt leider nicht wirklich so) steckt ja auch ein echter Typ! Also "Typ" im Sinne von "Original" (Ende 2012 wurde er sogar zum "Osnabrücker Original" gewählt). Im Zeitraffer zusammengefasst, hat das Ganze angefangen, als ein gewisser Reverend Hardy Hardon seinen Schabernack auf dem Katholikentag 2008 in Osnabrück trieb und dort die Christenheit auf die Schippe nahm. Und danach entwickelte das Ganze eine gewisse Eigendynamik. Wobei Christian Steiffen seinen - nennen wir es mal "Rock-Roots" - auch immer treu geblieben ist. Man denke z. B. an die DAMPFMASCHINE-Connections, mit denen er auch schon auf der Osnabrücker Maiwoche auf der Bühne stand. Und guckt mal wer da bei Minute 1:25 hinter der Theke steht... ;)


Auch das Original Haseland Orchester hat seine Wurzeln ja bei einer Band mit knüppelhart satirischem Hintergrund, die wegen Songs über Onkel Ditmeyer und Steffi Graf schon Kontakt mit der deutschen Justiz und diversen Gerichtssaalbänken hatte. Und ebenfalls legendär dürfte jetzt schon Christian Steiffen's Oberbürgermeisterkandidatur in Osnabrück im September 2013 sein, wobei er sogar den Kandidaten der FDP ausgestochen hat... Und neulich hat er sogar noch auf einem Punkrockfestival gespielt! Also Christian Steiffen jetzt, nicht der Kandidat der FDP. Und ein Kinofilm mit ihm ist jüngst auch noch gestartet (er spielt - wie kann es anders sein - sich selbst). Über Herrn Steiffen gibt's also schon so einiges zu erzählen (ich hab bestimmt noch ein paar Sachen vergessen) und die "Arbeiter der Liebe" CD ist eine mehr als gelungene Debütscheibe um die Steiffen-Legende zu untermauern.

Was die Zukunft angeht... Die Gefahr liegt natürlich auf der Hand: Wo wird Christian Steiffen landen? Mit Grausen denkt man an Gestalten wie Mambo Kurt ... irgendwann mal ganz witzig gewesen, aber mittlerweile auf Hartmetallfestivals und -kreuzfahrten gestrandet, wo er den Kasper vor bierseligen Metaldumpfmuffen machen darf, die von sich selbst denken sie hätten voll den crazy Humor... Oder - ähnlich schlimm - als Zwischendurch-Gag vor irgendwelchen Versicherungskaufleuten, Jungliberalen und ähnlichen Langweilern in Denim-Kutten auf der nächsten Turbojugendparty? Oder zwischen Mallorca-Zombies wie Mickie Krause oder Jürgen Drews am Balneario?!? Oder gar Provinz-Schützenfestzelte?!? Und was ist eigentlich aus Dieter-Thomas Kuhn und Guildo Horn geworden? Und ... na ja, seien wir ehrlich ... wenn man bei einem Majorlabel veröffentlicht, muss man evtl. auch mal Dinge machen, die vielleicht nicht ganz so cool sind... Bravo-Foto-Lovestory fänd' ich aber durchaus passend!

Ich wünsche Christian Steiffen jedenfalls alles Gute. Der Mann ist durch und durch Entertainer und ein mit allen Wassern gewaschener Charmeur noch dazu. Ich für meinen Teil genieße momentan die Zeit, in der er (noch) Geheimtipp ist...Wenn in einem halben Jahr nur noch Dullies auf den Konzerten sein sollten warte ich halt geduldig auf seine Reinkarnation als MOTORSTEIFFEN!!!