Freitag, 27. November 2015

Buch-Review: Andreas Müller - Kiffen und Kriminalität (Buch)

Andreas Müller - Kiffen und Kriminalität. Der Jugendrichter zieht Bilanz
Taschenbuch (gebunden) | Verlag Herder | September 2015 | 256 Seiten | ISBN-10: 345131276X / ISBN-13: 978-3451312762

In wunderschönem Grasgrün kommt das Buch von Jugendrichter Andreas Müller daher. Der sollte auf diesem Blog ja kein Unbekannter sein, da ich erst im Juli eine Besprechung seines ersten Buchs "Schluss mit der Sozialromantik" hier gepostet hatte (siehe HIER) ... und weil er eben (Exil-)Meppener ist.

Grasgrün ist das Buch natürlich (da war die Grafikabteilung mal total originell, höhö) weil's eben darum geht: Gras! Oder eben Marihuana, Cannabis, Haschisch, Weed oder welche 1.000 anderen Begrifflichkeiten für die "Wunderpflanze" Cannabis Sativa eben gebräuchlich sind. Um es genau zu präzisieren: Es geht um Cannabis und die damit zusammenhängende Kriminalisierungsgeschichte in Deutschland. Und um die Frage, ob eine Legalisierung nicht der einzig richtige Weg im Umgang mit der weichen Droge Cannabis wäre.


Ich denke ich nehme nichts vorweg, wenn ich hier schon mal verrate, dass Andreas Müller ein absoluter Befürworter einer Cannabis-Legalisierung ist, dann das konnte man in "Schluss mit der Sozialromantik" schon lesen. Warum das so ist legt er hier noch mal im Detail dar und arbeitet sich durch verschiedene Aspekte der Thematik. Es handelt sich hier laut Eigenaussage um eines von Müllers "Lebensthemen". Was vor allen Dingen mit dem Tod seines Bruders zusammenhängt, der erst durch Cannabis-Kriminalisierung immer mehr in eine kriminelle Ecke gedrängt wurde, wie Müller es in dem Buch als "roter Faden" immer wieder ausführt.

Müllers Stil ist im gesamten Buch wieder verständlich und bodenständig. Komplexe Sachverhalte werden anschaulich erklärt, so dass man z. B. kein Jura studiert haben muss um mit der behandelten Material klarzukommen, auch wenn er öfters mal Justizfragen streift (z. B.: Was ist eigentlich derzeit in Deutschland tatsächlich "erlaubt" bzgl. Besitz und/oder Konsum? Welche einheitlichen "Obergrenzen" gibt es?) aber auch auf die geschichtlichen Hintergründe des Cannabisverbots (Ägypten und Harry Anslinger sind schuld!) eingeht und auch klipp und klar anspricht, dass das Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber in der Cannabisfrage seit über 20 Jahren eklatant wichtige Fragen offen lassen.

Die Quintessenz des Buches ist: Müller tritt für eine möglichst schnelle Cannabis-Legalisierung in Deutschland ein. In diesem Buch nimmt er die immer gleichen und oft auf Hörensagen basierenden "Argumente" der Legalisierungs-Verweigerer recht vehement auseinander, als da wären:
  • Cannabis ist immer eine Einstiegsdroge zu härteren Drogen
  • Cannabis ist eine gefährliche Droge mit hohem körperlichem Abhängigkeitspotential und harten Drogen wie Kokain oder Heroin gleichzusetzen
  • Cannabiskonsum erzeugt in großem Umfang Psychosen bis hin zu Schizophrenie
  • Kiffen macht dumm und faul und führt zu Verwahrlosung
  • Sobald Cannabis legal ist kiffen plötzlich alle
  • Cannabis ist schädlich für unsere Kinder
Müller macht ziemlich klar deutlich, dass aus diesen Argumenten allzu oft allgemeines Unwissen und der Unwille sich mit dem Thema auseinanderzusetzen sprechen (und bei einigen "Experten" die Unfähigkeit und Angst von ihren Positionen abzuweichen, die sie schon seit Jahrzehnten vertreten, obwohl jede Rationalität dagegen spricht). Die Cannabisprohibition verstößt gegen jegliche empirischen Erkenntnisse und Praxiserfahrungen (z. B. in den Niederlanden und anderen europäischen Staaten, ja sogar in den USA, Colorado um genau zu sein). Entsprechend setzt Müller fundierte Pro-Legalisierungs-Argumente entgegen, z. B.:
  • Durch Cannabis gab es niemals nachgewiesene Todesfälle, toxikologisch ist das auch gar nicht möglich (im Vergleich dazu möge man sich die Zahlen zu den legalen Stoffen Nikotin und Alkohol ansehen)
  • Schädliche Cannabiswirkungen sind oft identisch mit denen von Alkoholwirkungen (da ist das Ganze dann aber okay...)
  • Das Verbot hat nie etwas gebracht, 4-5 Millionen Deutsche konsumieren trotzdem, teils aus Genuss, teils auch aus medizinischen Gründen (Verbote und Null-Toleranz-Strategien haben weltweit versagt und der internationale Drogenkonsum stetig zugenommen)
  • Die derzeitige Kriminalisierung der weichen Droge Cannabis ist viel zu drastisch, trifft hptsl. Kleinstkonsumenten (keine Dealer!) und zerstört dort nicht selten Existenzen (Berufsleben, Führerscheinentzug etc.) => durch diese Kriminalisierung werden mehr Opfer geschaffen als durch die Droge selbst (gesellschaftlicher/beruflicher Abstieg/Probleme)
  • Überflüssige Kleinstverfahren (die von der Staatsanwaltschaft im weiteren Verlauf fallengelassen werden) müssen von der Polizeit aufgenommen werden, binden zeitlich die beteiligten Kräfte bei der Polizei und im Justizapparat und verschlingen so Unsummen an Steuergeldern
  • Kontrollierte Cannabis-Abgabe würde einen neuen Wirtschaftszweig und damit auch Steuereinnahmen in erheblicher Höhe generieren (einsetzbar für Präventions-, Bildungs-, Gesundheitspolitik)
  • Eine gut aufgestellte legale Cannabis-Abgabe (qualitativ hochwertiges Cannabis zu konkurrenzfähigen Preisen) lässt illegale Drogenstrukturen (Dealerei, organisierte Drogenkriminalität) überflüssig werden und verschwinden
  • Cannabis kann endlich als medizinisches Mittel verwendet werden (z. B. als Schmerzmittel oder Appetitanreger bei Rheuma, Krebs, AIDS etc.)
  • In der legalen und medizinischen Abgabe könnte der Staat Reinheit und Verfügbarkeit der Droge kontrollieren
Diese ganzen Argumente sind keineswegs Spinnerei und unterliegen auch keinem "Bauchgefühl" wie bei vielen Verbots-Befürwortern ("Das Zeug ist schon so lange verboten, das hab ich ja so gelernt, das muss ja schlecht sein!"). Es sprechen sich sogar bereits zahlreiche Strafrechtsprofessoren (der "Schildower Kreis") gemeinschaftlich für eine Cannabis-Legalisierung aus, da sie das Verbot/die Prohibition als gescheitert ansehen.

Was nicht heißen soll, das Müller Cannabis in seinem Buch falsch darstellt. Cannabis ist natürlich eine Droge, das sagt er auch ganz klar! Aber eben eine weiche Droge die ebenso legal erhältlich sein müsste wie Alkohol, da die Kriminalisierung seit Jahrzehnten weitaus mehr Schaden anrichtet als dass sie irgendwem nutzt. Legalisierung heißt für Müller nicht "Party für alle" sondern sinnvolle Schritte: Entkriminalisierung, Legalisierung, Regulierung. Und dabei soll auch stets der Blick auf Aufklärung und Prävention gerichtet sein und selbstverständlich Jugendschutz (also keine Abgabe an Jugendliche)!

Der Umgang mit Cannabis sollte von Reife, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt sein. "Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz", wie Müller hier so schön sagt. Und ein "Recht auf Rausch" nehmen die meisten Bundesbürger ja genauso wahr, indem sie Alkohol trinken. Da sollte jede/r Emsländer/in mal drüber nachdenken, wenn er/sie beim nächsten Schützenfest mal wieder hinters Zelt reihert, haha...


Im März 2015 wurde durch die Grünen ein Cannabiskontrollgesetz eingebracht, an dem auch Richter Müller mitgewirkt hat. Man darf abwarten was daraus wird. Denn hier setzt auch meine einzige Kritik an: Muss das Ganze nicht von vornherein am ideologischen Denken der meisten Parteien scheitern? Viele Gegner einer Cannabis-Legalisierung interessieren sich nach meinem Empfinden nicht für neue Aspekte in der Diskussion, weil sie es ja "immer so gelernt haben", dass Cannabis eine ganz schlimme böse Droge ist. Und an einigen Stellen sitzen in der Politik dann auch noch die absolut falschen Leute (Stichwort: Drogenbeauftragte Marlene Mortler/CSU). Im Zweifelsfall und bevor man zuviel nachdenken muss wird dann ohnehin auf Parteilinie geblieben. Wer denkt schon ernsthaft über womöglich sinnvolle Vorschläge anderer Parteien nach?!? Und wer macht sich als Cannabis-Gegner die Mühe ein Buch zu lesen, in dem offensichtlich eine Cannabis-Legalisierung befürwortet wird?!?

Na ja, einige Fragen kann ich mir selbst beantworten: Irgendwo müssen eben erste Schritte gemacht werden! Und auch ein solches Bucht wie "Kiffen und Kriminalität" gehört dazu, um die Diskussion um das Thema weiter in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Denn Andreas Müller ist nun mal nicht irgendwer, sondern deutscher Jugendrichter der immer wieder ein ordentliches Maß an Öffentlichkeit (durch Talkshows etc.) erzeugt. Wenn ein Jugendrichter schon so vehement für eine Legalisierung plädiert hat das eben doch mehr Gewicht, als wenn Birkenstock-Benno dir die Problematik an der Theke im Rockpalast erklärt... ;)

Gewisse Entwicklungen sind auch bereits erkennbar, vereinzelt sogar in den Reihen der CDU. Ach ja, und die FDP-Emsland ist auch schon Pro-Cannabis-Legalisierung! Ich bin mir noch nicht ganz sicher ob die damit eine jüngere Wählerschaft anpeilen oder ob die einfach mal durchgerechnet haben wieviel Steuergeld man damit einnehmen würde. Die Pro-Argumente hab ich ja oben stichpunktartig mal aufgeführt. Die sind nun mal eindeutig und auf Dauer auch nicht zu ignorieren.

Was das Buch angeht kann ich es ohne Weiteres empfehlen. Auch und vor allen Dingen denjenigen, die bei der Thematik unsicher sind oder eine Legalisierung sogar ablehnen (Stichwort "Bauchgefühl")! Denn Müller betreibt hier keine plumpe "Legalize It" Propaganda oder Verharmlosung sondern beleuchtet das Thema Cannabis sowie Kriminalisierung/Legalisierung ziemlich umfassend.

Auch für diejenigen die meinungsmäßig mit Müller auf einer Linie sind (wegen Hollandnähe kennt manch einer sich im Emsland ja mit Gras aus, munkelt man) kann das Buch noch was bringen. Die Argumente sind ausgefeilt dargestellt und werden sicherlich bei Diskussionen weiterhelfen. Und es werden auch viele Aspekte angesprochen über die man vielleicht noch nicht Bescheid wusste. Inklusive "lustiger" Anekdoten bei denen einem dann doch das Lachen im Hals stecken bleibt: Die "Kiffermerkmale" aus dem Schulungsprogramm der Polizei zum Beispiel... Außerdem steckt natürlich noch viel mehr im Buch, als ich in dieser eh schon viel zu langen Rezension unterbringen kann.

Mittlerweile durfte ich Richter Müller auch mal live erleben, nämlich am 22.11.2015 bei seiner Lesung im Kossehof zu Bokeloh. Was im Buch schon anklingt hat sich da bestätigt: Er selbst ist ein kleiner Polterer, durchaus auch mit Kodderschnauze und recht eigenwilligem Auftreten. Aber er ist nicht unsympathisch und vor allen Dingen jemand der seine Standpunkte glaubwürdig transportieren kann! Bei der Diskussionsrunde nach der Lesung gab es z. B. kaum Nachfragen oder Widerreden, obwohl bei der Frage "Wer ist hier für eine Legalisierung" bestimmt mehr als die Hälfte der zahlreich Anwesenden nicht aufgezeigt hatten...

Ich persönlich hatte jedenfalls die Hand gehoben, wobei ich jetzt auch nicht der ausgesprochene "Pro-Weed-Aktivist" bin. Viele der Argumente waren mir vorher schon klar und sind halt absolut rational und logisch, nicht nur durch die "grüne Brille" betrachtet. Das wird mit diesem Buch noch mal wieder absolut klar!

[Bombe]